Integrative Ansätze

Die Integrative Psychotherapie (Weiterentwicklung der Gestalttherapie), die systemische Familientherapie und Interpersonelle Psychotherapie basieren auf den psychodynamischen Konzepten, erweitern diese jedoch durch den sozialen Bezug des Menschen.

Der Schweizer Psychiater A. Meyer (1957) formulierte die theoretischen Grundlagen, indem er psychische Störungen als misslungenen Versuch des Individuums betrachtet, sich an veränderte Umweltbedingungen, insbesondere an psychosoziale Stressoren (z.B. Beziehungskonflikte od. -verlust) anzupassen. Die Anpassungsmöglichkeiten werden durch frühe Erfahrungen in der Familie und andern sozialen Gruppen gelernt.

Meyer vertrat die Meinung, dass Freuds Erkenntnisse über das Unbewusste und die frühen Kindheitserfahrungen nur dann nützlich sind, wenn psychisches Leiden und gestörtes Verhalten aus der Sicht der zwischenmenschlichen Beziehung und ihrer krankmachenden Muster betrachtet werden. Der Psychiater sollte sich deshalb damit beschäftigen, was zwischen den betroffenen Menschen vorgeht und nicht nur  was in den Menschen geschieht. Dabei spielen die Grundbedürfnisse des Menschen nach Sicherheit, Zugehörigkeit, Zuwendung, Anerkennung und Selbstverwirklichung eine zentrale Rolle. Werden die Grundbedürfnisse verwehrt entsteht Angst. Die Beziehung zwischen Therapeutin und Patientin hat in den integrativen Ansätzen übergeordneten Stellenwert über die therapeutische Technik.

Die oben beschriebene Sichtweise psychischer Erkrankung macht deutlich, dass Störungen nicht mit eindimensionalen Modellen erklärt werden können. Psychisches Leiden ist somit das Ergebnis der Wechselwirkung zwischen genetischer Prädisposition, psychosozialen Risikofaktoren und umweltbezogenen Einflüssen. Viele neue Forschungsergebnisse z.B. von Bohus und Berger (1992) weisen auf die herausragende Rolle von zwischenmenschlichen Faktoren für die Entstehung, den Verlauf und die Therapie von psychischen Störungen hin.

Zusammenfassend bilden folgende empirisch fundierte Erkenntnisse die theoretische Grundlage der integrativen Ansätze:

  1. Positives emotionales Bindungsverhalten fördert die Entwicklung des Individuums.
  2. Eine vertrauensvolle Beziehung ist wirksamer Schutz vor psychischer Erkrankung.
  3. Psychosozialer Stress führt bei entsprechender Disposition zu psychischem Leiden.
  4. Andauernde soziale und zwischenmenschliche Belastung führt zu psychischer Erkrankung.
  5. Das Auftreten eines psychischen Leidens beeinträchtigt die soziale Leistungsfähigkeit in Form gestörter partnerschaftlicher oder anderer Beziehungen oder in Form von unangepasstem Kommunikationsverhalten.
  6. Die Qualität der sozialen Beziehung, die Sullivan (1953) als „sicherheitsspendend“ bezeichnet, scheint die ausschlaggebende Rolle bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung psychischer Erkrankung zu spielen.

Basierend auf diesen Erkenntnissen legen die integrativen Ansätze die Zielsetzung und den Behandlungsschwerpunkt auf die Verbesserung der Interaktions- und Kommunikationsmuster der Klienten im „Hier und Jetzt“. Zwischenmenschliche Beziehungen und Geschehnisse wie beispielsweise ein Ehekonflikt, der Verlust einer nahestehenden Person oder ein Arbeitsplatzwechsel nehmen Einfluss darauf, wie sich eine psychosomatische Erkrankung entwickelt, verläuft und auf Behandlung anspricht. In der Therapie werden diese Zusammenhänge direkt angesprochen, erklärt und bewusstgemacht.

Im therapeutischen Prozess werden die fünf Lebensbereiche ausgeleuchtet, welche für die Stabilität der Persönlichkeit massgebend sind, um Ressourcen und Lücken zu finden. Sie lassen sich im folgenden „Fünfsäulen-Modell“ darstellen:

5_Saeulen

Arbeit: Wieweit können persönliche Neigungen, berufliche Fähigkeiten und Kompetenzen im Berufsalltag verwirklicht werden?
Finanzen: Wieweit können mit den finanziellen Ressourcen persönliche Bedürfnisse abgedeckt werden?
Beziehung: Welches Beziehungsnetz steht zur Verfügung, wie werden Kontakte gepflegt?
Körper: Wie pflegt der Klient seine Gesundheit / gesunden Anteile, wie lebt er oder sie die Sexualität?
Sinn: Welche Werte sind der Klientin wichtig, welche Lebensziele strebt er oder sie an?

Durch die neue Form der Wahrnehmung von Symptomen, Reaktionen und Ereignissen erlernt der Klient ein zunehmendes Mass an Selbstkontrolle. Er oder Sie kann das individuelle Erleben begrifflich fassen, einordnen und „bekommt die Symptomatik in Griff“.

Dadurch findet er wieder vermehrt Zugang zu den eigenen Stärken. Selbstwert und -vertrauen werden gestärkt. Diese persönliche Erkenntnis wirkt symptomlindernd und vorbeugend, indem Warnsignale des Organismus künftig rechtzeitig erkannt, und krankmachende Verhaltensmuster vermieden  werden können.